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Die Probleme, die durch ein Mißdeuten
unserer Sprachformen entstehen, haben den Charakter der
Tiefe. Es sind tiefe Beunruhigungen; sie
wurzeln so tief in uns, wie die Formen unserer Sprache und ihre
Bedeutung ist so groß, wie die Wichtigkeit
unserer Sprache. ‒ ‒ ‒ Fragen wir uns:
Warum empfinden wir einen grammatischen Witz als
tief? (Und das ist ja die
philosophische Tiefe.)
Worin liegt etwa die Tiefe des Witzes: “We called him tortoise because he taught us”? Wir werden plötzlich aufmerksam darauf, daß eine solche Ableitung des Substantivs unmöglich ist. – Warum 78 sollte sie aber so unmöglich
sein? Sie ließe sich
auch sehr wohl denken (tschechische
Zunamen, wie Zaplatil – – er
zahlte). Und nun scheint der Witz seine Tiefe
verloren zu haben. Dies kommt aber daher,
daß wir unsere Aufmerksamkeit verschoben
haben. – Betrachte ein anderes Beispiel:
Lichtenberg
läßt eine Magd in den
“Briefen von Mägden über
Literatur” die Zahl Hundert 001
schreiben. Wenn man sich sagt: “nun,
es könnte ja auch in der Richtung geschrieben
werden”, so fühlt man die Tiefe der Komik
nicht. Diese liegt, glaube ich, in dem Zusammenhang
unseres Dezimalsystems, in welchem das Zeichen
“001” eine gewisse Stelle innehat. Die
Tiefe der Absurdität des 001 erscheint erst
für den, der, sozusagen, die mathematischen Konsequenzen
aus diesem Schreibfehler ziehen kann. Nicht für
den, der nur weiß,
daß man so nicht hundert schreibt. – Man kann, das taught us
betreffend, sagen: ein Verbum hat für uns eine
Grundstellung (wie man bei Turnübungen
sagt) und dann verschiedene Stellungen, verschiedenen
Verrichtungen gemäß. Eine
beliebige dieser Stellungen zur Bezeichnung dessen
nehmen, der (z.B.) lehrt,
ist so, als nähme man für das Standbild eines Menschen
irgend eine
Stellung, in der er sich auch einmal befinden kann.
Die Grundstellung, könnte man sagen, repräsentiert
den Menschen und der Infinitiv das Verbum. Es
hätte für uns nicht das Komische des Substantivs
“taught us”, wenn man
statt dessen den Infinitiv des Verbums zur Bezeichnung des Lehrers
verwendet hätte. –79 Die
Tiefe der Absurdität liegt hier wieder in
Verhältnissen, die eine längere Erklärung
zulassen; weil sie den eigentümlichen Bau unserer Sprache
betreffen. – Wenn wir auf das System unserer Sprache
sehen, dann haben wir das Gefühl der
Tiefe. Es ist, als sähen wir durch ihr Netz
hindurch die ganze Welt. |